Interview mit Matthias Arfmann über das Album Ballet Jeunesse

Text · Fotos © Gulliver Theis / Decca Records · Datum 27.7.2016

Am 9.9. erscheint Ballet Jeunesse, ein Album, das, wenn schon kein Lebens-, dann doch ein Midlife-Projekt von Matthias Arfmann ist. Der ist einer der bekanntesten Produzenten für Hip Hop und Dub-Musik in Deutschland und taucht , die hierzulande je erschienen sind, Hammerhart von den Beginnern. Arfmann hat bereits 2005 die Recomposed-Reihe der Deutschen Grammophon eröffnet. Für sein neues Album wollte er sich mit Ballett-Werken aus dem letzten Jahrhundert beschäftigen, die, weil sie jünger sind, noch einem besonderen Urheberschutz unterliegen. Das führte zu einer Odyssee voller Ablehnung, Hinhaltung und schließlich Triumph, weswegen es jetzt diese Beats und Cuts mit Nussknacker, Romeo und Julia, Peter und der Wolf, Onegin, Schwanensee und in noch vielen anderen Geschmacksrichtungen gibt, und mit der Deutschen Grammophon auch eine Plattenfirma.Die orchestralen Passagen, die dafür nötig waren, wurden vom Babelsberger Filmorchester eingespielt, auf mehrere Stücken singt die Sängerin Onejiru aus Hamburg eigene Texte, außerdem waren der Musiker Peter Imig, der Komponist Milan Meyer-Kaya und der Produzent Sebastian Maier mit am Start. Gaststars sind Jan Delay, Schorsch Kamerun, KRS One und weitere auf ihrem Gebiet total geschätzte Musiker/innen.Und die Musik? Die ist voller Passagen, bei denen man sich kopfschüttelnd fragt: Meinen die das jetzt ernst? So fett sind die Beats, so plakativ der Einsatz der verwendeten Stücke, dass zur Abwechslung mal kein Anlass besteht, sich über das Gerede von »Jetzt modernisiert er die Klassik« (das ZEIT-Magazin im Frühling) zu echauffieren oder festzustellen, dass die Frage »Darf man das?« ein reines Ablenkungsmanöver ist. Das ist eine Hop-Hop-, keine Klassik-Geste, und zwar Breitwand. Wie der Name schon sagt, lieben es die Kinder, und am 21.9. wird Ballet Jeunesse mit den Hamburger Symphonikern beim Reeperbahn Festival aufgeführt. Wir erreichen Matthias Arfmann am Telefon, er führt viele Interviews in diesen Tagen, die Marketing-Kampagne ist internationalisiert.

Hat die Deutsche Grammophon dir von vorne herein und über die ganzen Jahre ein Art Backup gegeben, auch im Sinne von Finanzierung, Ressourcen?

Nein.

Die Eröffnung der Recomposed-Serie 2005, das war ein Auftrag der Deutschen Grammophon. Damals kam von deren damaligem Geschäftsführer, Christian Kellersmann, der Anruf: ›Könntest du dir vorstellen, in unsere Archive zu gehen und mit den alten Karajan-Aufnahmen aus den 1970er Jahren eine Art Remix zu machen?‹

Dieses Mal ist alles einzig und allein von mir ausgegangen. Es gab keine Plattenfirma, es gab keinen Auftrag. Ich habe 2009, ganz am Anfang, Christian Kellersmann (inzwischen Managing Director im Kulturbereich der Edel Germany GmbH; d. Red.) schon eine erste Aufnahme von Romeo und Julia gezeigt. Er hat abgewunken. Nicht, weil er die Musik scheiße fand, sondern weil er meinte: ›Das ist ein Himmelfahrtskommando.‹

Mir wurde irgendwann klar, was er gemeint hatte: Diese ganzen noch geschützten Werke zu verwenden, das geht nur, wenn man parallel zu der Musik, wie sie einem vorschwebt, eigenständig und möglichst an allerhöchster Stelle sein Gesuch einreicht, nämlich bei den noch lebenden Erben oder bei wirklichen Chefs von irgendwelchen Musikverlagen oder Anwaltskanzleien. Also bei den echten Entscheidern. Am Anfang habe ich dann hier und da mal dem zuständigen Musikverlag einfach schon eine Version geschickt und nur Formschreiben zurückbekommen.

Irgendwie hat mich das aber auch angefixt, muss ich gestehen. Ich wollte es irgendwie wissen.

Warum hast du nicht eigene Musik fürs Orchester geschrieben oder mitentwickelt, hätte das an der musikalischen Aussage so viel geändert?   

Die reine Liebe! Ach, ich kann da nur die kitschigsten Begrifflichkeiten nehmen: Freiheit und Liebe. Man nimmt das, und man sagt, ›ich mach das jetzt‹. Da stellt sich nicht die Frage: ›Darf ich das?‹ So ein Original, Romeo und Julia zum Beispiel, ist so gewaltig. Und dann sagt man sich ›Ey, wieso kann ich das jetzt nicht einfach mal machen?‹. Das irgendwie umzumodellieren war wirklich so schön, mit diesem Klang aus dieser Zeit, der mich schon als Kind geflasht hat. Einfach wie so ein kleiner Junge bin ich da rangegangen.

Die Deutsche Grammophon verspricht sich ja vielleicht strategisch etwas davon. Man liest zum Beispiel in den Medien öfter diesen Satz ›Jetzt erneuert er die Klassik‹ (zum Beispiel im Zeit-Magazin, d. Red). Auch schon vor zehn Jahren bei der ersten Recomposed-Platte waren es so Sprüche wie ›Die Klassik wird modernisiert‹.

Das hat mir immer sehr Angst gemacht. Dann lieber die Frage nach dem Warum. Dann lieber so defätistisch fragen: ›Warum macht er den Scheiß?‹ Irgendwie schwebt da so etwas drin in diesen Überschriften; ich weiß, was Du meinst. Es kam mal im Zeit-Magazin, und ich habe auch gestern oder vorgestern diese Frage bekommen. Das ›Erneuern‹ – das klingt irgendwie vorsätzlich. Ich glaube, das ist so ein Satz, der kommt nur David Garrett über die Lippen. Der sagt ›Hallo, ich bin David Garrett, ich erneuere das hier.‹ So etwas macht mir echt Angst. Ich komme da ganz woanders her. Bei mir ist es auch ein bisschen Humor. Da muss einem auch ein bisschen der Schalk im Nacken sitzen, wenn man so etwas macht. Man muss auch strahlen und lachen können, wenn man dieses Werk hört. Und man hat vielleicht eine gute Anlage und reißt diese Anlage auf – ›Ey, das ist mal ne Idee‹ – so soll man sich das zu Gemüte führen, dieses Werk.

Man hört die Gesten dahinter und auch die Produktions-Ideen. Aber ich würde von meinem Hörerlebnis her nicht sagen, dass Du irgendetwas für die Stücke machst. Die Stücke machen etwas für Dich. Kann man das so unterschreiben?

Damit kann ich leben, selbstverständlich. Das Einzige ist: Ich habe darüber nachgedacht!

Weißt Du, man ist (beim Produzieren) unter so einer komischen Käseglocke. Und dann kommen auf einmal Leute. Wenn ich die letzten zwei Tage vor dem Mikrofon saß, bei Interviews, dann war eine Haupt-Frage: Zielgruppe? Oder auch, was Du gefragt hast, so nach dem Motto ›Wurdest du geschickt? Wollten die das verjüngen? Hatten die da so ‘ne geile Idee und du fandest das auch musikalisch in Ordnung?‹ – ›Nein, das hab ich mir selbst ausgedacht‹; und zur Zielgruppe: Weiß ich nicht. Beim Musizieren, wo wir teilweise Jahre damit verbracht haben, einzelne Lieder noch in Details zu ändern, da macht man sich keinen einzigen Gedanken über eine Zielgruppe. Deswegen sage ich da ganz dreist: neun bis neunzig.

Und trotzdem heißt es Ballet Jeunesse?

Ja, aber das ist trotzdem so, dass da Familien hingehen könnten. Könnte passieren. Ich spiele ja jetzt beim Reeperbahn Festival zum ersten Mal – da wird es vermutlich studentisch sein, denke ich mal. Das finde ich auch super. Ich glaube, wenn man mit dem Wort ›Jeunesse‹ kommt in Bezug auf Klassik, dann ist auch 40 schon ›Jeunesse‹.

Die Frage, was daran das Neue ist, das in Worte zu fassen, ist für mich am Schwierigsten. Eine Sache ist die Ebene der Vocals. Beim Säbeltanz zum Beispiel (aus dem Ballett Gayaneh von Aram Chatschaturjan) mit der Stimme von Schorsch Kamerun, der die heutige Zeit so beschreibt. Diesen Wahnsinn, der da los ist. Wie so viele wie aufgezogene Elektrohasen rumlaufen. Und wie er das verschmilzt mit der Musik und es dann – zwar kryptisch aber doch – etwas mit der Originalgeschichte zu tun hat

Titel Säbeltanz feat. Schorsch Kamerun von dem Album Matthias Arfmann presents Ballet Jeunesse (VÖ-Datum: 9.9.16)

… oder auch Onejiru an diversen Stellen, wie sie einmal nur ganz simpel »Shalom« und »El Rabia« (arab.: »Frühling«, d. Red.) singt, auf der Version von Nussknacker, die zur Zeit des arabischen Frühlings entstanden ist. Bei Recomposed hat sie ja auch schon, zu Dvořáks Aus der Neuen Welt die Geschichte der Sklaverei neu erzählt, auch so ein bisschen mit ihrer eigenen Migrationsgeschichte, weil sie mit 13 über seltsamste Umwege von Nairobi nach Wanne-Eickel gelangt ist – das ist, glaube ich, das Neue. Wir haben vielleicht das Talent, eine tolle Dramaturgie hinzubekommen und eine gute Produktion. Aber wenn jetzt diese Vocals bei diversen Stücken nicht da wären …

… dann wäre es eine Filmmusik, oder?

Ja. Das ist genau das Ding.

Hast du dich denn schon mal Leuten gegenüber gesehen, die gesagt haben, ›das ist ein Sakrileg‹? Das steht ja auch im Zeit-Artikeln, wie ein Manager der Deutschen Grammophon von ›imaginären Blutspritzern‹ bei Produktvorstellungen gesprochen habe …

Oft ist das so ein bisschen um die Ecke rum. Ich fühle das, ich kriege das mit, manchmal ist das nur so ein Vibe. Da kann ich jetzt keine Namen nennen, es gab bekannte Choreografen – bei John Neumeier war es anders –  oder Dirigenten, die ich ganz offen gefragt habe, ob sie sich das mal anhören können. Da ging es immer in die Richtung: ›Ja, das ist ganz gut gemacht‹, aber in Wirklichkeit wollten die, dass ich sofort abhaue. Das habe ich schon gemerkt.

Dieses Rumgerüttel macht einfach keinen Sinn. Wenn da die Entscheider die Tür zuhalten wollen, dann ist das total in Ordnung. Und wenn die dir einen festen Händedruck geben und sagen ›ja, das ist gut gemacht, aber das Original ist auch gut‹, dann auch.

Aber trotzdem sind die Freude und die Liebe, mit der wir das darbieten  – das wird man sehen, mit dem Orchester – etwas, das man ernst nehmen sollte. Und ich glaube, dass viele Musiker innerhalb von einem Orchester das auch toll finden. Die haben Lust, das Ding mal so zu spielen, das darf man auch nicht vergessen.

Hat sich denn diese Rolle des Produzenten im Hip Hop, der dich als Produzent einem breiteren Publikum bekannt gemacht hat, in den letzten Jahren stark gewandelt?

Also ich selbst arbeite einfach viel länger an den Produktionen. Wenn ich so zurückdenke; Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre, das klingt wie aus einer anderen Zeit, da habe ich zum Teil drei Platten im Monat gemacht, davon mindestens eine LP. Total gaga.

Und: ich habe vor einer Weile in die iTunes-Top-100 geschaut, da waren etwa 40 Stücke mit deutschem Hip-Hop. Ich habe dann am Laptop irgendwann einmal von all diesen Stücken diese anderthalb Minuten gehört, die kostenlose Vorschau. Ich hatte Boxen angeschlossen und konnte hören, wie die Produktion ist. Was auffällt, ist, dass 80 Prozent davon einfach grauenvoll, klingen, unerträglich schlecht. Da wird kein großer Wert auf die Produktion gelegt. Ich will keine Namen nennen, es gab aber nur wenige Ausnahmen. Und dann halt die Verrohung bei den Texten, dass mir 18-jährige sagen, sie verkaufen tonnenweise Kokain, und dann kommt die und die Bitch um die Ecke. Da ist auch kein Humor mehr drin, das ist einfach unerträglich.

Die Beginner haben in der neuen Single mit dem Feature von Gzuz so ein Irritationsmoment drin, etwas rohes, gefährliches mit einem Rapper aus einer Szene, wo Gewalt und Kriminalität ja auch zum Hintergrund gehören. Weißt du was über die Motivation?

Da musst du sie selber fragen. Ich weiß, was sie antworten würden, aber ich kann das nicht für sie beantworten. Seine Stimme finde ich herrlich.

Vielleicht noch mal den Bogen zu Ballet Jeunesse: Was ist dein Lieblingsstück mit Streichern im HipHop?

Ha! Das sind zwar eher so beschissene Streicher, die aber geil sind; Family Affair von Mary J. Blige und Dr. Dre. Ja, ich glaube, das würde ich nehmen. ¶