Durchmischung von Genres, Künstlern und Publikum statt unnahbarer Hochkultur; ein Raumkonzept, das Interpretation zulässt – das wollte Architekt Peter Haimerl mit seinem extravagant minimalistischen Konzerthaus Blaibach nahe der tschechischen Grenze schaffen. Kurz vor Weihnachten traf ich ihn in seinem Loft-Atelier in München.

VAN: Architektur sei wie eine räumliche Droge, hast du in einem Interview gesagt. Wie gelingt es, das Bewusstsein des Publikums auf eine außergewöhnliche Erfahrung einzustimmen?

Peter Haimerl: Das fängt schon außerhalb des Gebäudes an – wo steht es? Ist es versteckt, steht es großmächtig da, ziseliert? Da entsteht schon ein Grundton, mit dem man sich dem Konzerthaus nähert, und das setzt sich fort.

Wie sieht das dann architektonisch aus?

Man überlegt: Wie ist der Eingang, gibt es einen bestimmten Duft, ein Ritual, wenn man den Raum betritt? Das ist ganz ähnlich wie bei einer Kirche. Es kann ein bestimmter Empfang sein, eine Bar – räumlich unterstützt. So kann man fast schon eine Art Musikstück abspielen, das im Idealfall durch ein überraschendes Element beim Betreten des Saales endet.

Eingang in Blaibach • Foto © Edward Beierle
Eingang in Blaibach • Foto © Edward Beierle

Gibt es da ein bestimmtes Repertoire?

Das kommt ganz darauf an. Natürlich spielt die Reflektion eine ganz große Rolle. Leichtes Material, wie zum Beispiel Holz, führt zu anderen Ergebnissen als Beton oder Marmor.

Wie kann man mit Größe und Anordnung des Publikums spielen, damit ein intensives Musikerlebnis entsteht?

Wir versuchen, möglichst keine Trennung zwischen Bühne und Publikum zu schaffen. Das ist für uns ein besonders wichtiger Aspekt, weil man dann einfach Teil des Geschehens wird.

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Wie wichtig sind Backstage-Räume für den Auftritt? Wie sind sie gestaltet?

Interessanterweise haben wir in Blaibach nur einen ganz kleinen Backstage-Bereich, weil wir rundherum keinen Platz hatten. Dadurch weichen die Künstler in das benachbarte Bauernhaus aus.

Es gibt also von vornherein Begegnungen zwischen Künstlern und Publikum. Welche Auswirkungen hat das auf das gesamte Erleben?

Das ist toll, weil dadurch die früher Ankommenden, die herumflanieren, die Musiker beim Einspielen schon hören. Das ergibt eine freudig, erwartungsvolle Stimmung, die gar nicht beabsichtigt war.

Müssen Bühne und Backstage ganz unterschiedliche Welten sein oder möglichst ähnlich?

Durch die Auslagerung des Backstage-Bereichs ins Waldlerhaus sind Bühne und Backstage getrennt. Der Weg auf die Bühne führt durch das Dorf. Das ist ein besonderer Transit, der zum Flair Blaibachs wesentlich beiträgt. Natürlich geht das nur bei kleinen, intimen Sälen.

Wenn du morgen das Angebot erhältst, ein Leuchtturm-Wahrzeichen zu bauen – würdest du es annehmen? Und wenn ja, wo würde es stehen? Wie würde es aussehen?

Ich beteilige mich momentan am Gasteig-Wettbewerb in München. Wie es aussehen könnte, werden die nächsten Monate zeigen.

Wie kommt es, dass Du als einziger bayerischer Architekt dazu eingeladen bist?

Das kann ich nicht beurteilen, ich weiß nicht, wer alles eingeladen ist.

Interessieren dich solche Monsterprojekte grundsätzlich?

Konzerthäuser interessieren mich tatsächlich, weil ich glaube, dass sie die Rolle übernehmen, die früher Kirchen oder andere Sakralbauten hatten, wo man über das übliche, funktionelle Maß hinaus geistige Räume entwickeln kann.

Spielen Konzerthäuser also so etwas wie eine spirituelle Rolle?

Eine spirituelle, aber auch eine philosophische. Ich finde, es gibt bei uns einfach kaum mehr solche Räume, und sie fehlen sehr.

Flügel im Konzertsaal in Blaibach • Foto © Edward Beierle
Flügel im Konzertsaal in Blaibach • Foto © Edward Beierle

Welche Konzerthäuser findest du besonders gelungen?  

Es gibt momentan viele tolle Konzerthäuser, wie etwa das in Stettin. Nach der Museums-Ära in den 1980er und 90er-Jahren haben wir jetzt eine Konzerthaus-Ära, wobei die rein klassischen, vor allem bürgerlichen Konzerthäuser, die die Anmutung des 19. Jahrhunderts nachempfinden, am Ende angelangt sind.

Was sagst du zum Konzerthaus-Entwurf in München?

Ich will weniger zum Entwurf etwas sagen, eher zum Procedere. Wenn man die Umstände in Betracht zieht, dass das Projekt bereits im Vorfeld sehr kompromissbehaftet war, ist der Entwurf wirklich gut.

Wie findest du die Elbphilharmonie?

Sie ist für mich der absolute Gipfel der Konzerthaus-Entwicklung der letzten 30 Jahre. Das unglaublich Grandiose, dieser Weinberg, der die Vollendung der Berliner Philharmonie darstellt, markiert einen absoluten Endpunkt, der nicht mehr getoppt werden kann.

Und wie geht es jetzt von dort weiter?

Man muss sich etwas anderes suchen, weil man da nicht mehr drüber kann. Die große Frage, die sich immer mehr stellt, wie etwa in Paris, ist: Wie kann man es schaffen, klassische Musik, Jugendkultur und insgesamt die moderne Gesellschaft miteinander zu verbinden? Wir brauchen Konzerthäuser, die das können.

Also geht es um Konzerthäuser, die für verschiedene Genres geeignet sind?

Genau, die Elbphilharmonie, die in Balkonen schwelgt, mit ihren abgerundeten, schwingenden Formen, geht vom Ideal des Bildungsbürgertums der Gründerzeit aus. Es gibt eine große Sehnsucht, dahin zurückzukehren. Ich glaube aber, man muss in Zukunft, wenn die Klassik weiterbestehen soll, Wege finden, die moderne Zeit besser zu integrieren.

Was gibt es da für Ansatzpunkte? Wie kann man sich das vorstellen?

Interessant ist die Idee vom Palais de Tokyo, dem Kulturareal in Paris: Dort geht man viel offener und rudimentärer mit dem Bestand aus dem Jahr 1937 um. Die Architektur erscheint nicht so bestimmend, so klassisch vorgegeben. Man muss Wege finden, die schon vom Design diese Öffnung zulassen.

Wie wirken sich Materialien aus? Hast du ein Klangideal?

Ich kann dazu nicht viel sagen, weil ich mich da nicht wirklich auskenne. In Blaibach sagen manche, der Saal klingt sehr warm, andere sagen, der Saal klingt kalt. Ich glaube, dass das eher damit zusammenhängt, was man für einen Klang erwartet.

Die widersprüchlichen Beurteilungen haben sicher auch mit der Optik zu tun. Die einen können die Wärme von Beton zulassen, die anderen sehen Beton und denken, das ist hart, da fehlt das Holz.

Entwurf für einen Konzertsaal in einem stillgelegten Kraftwerk in Aubing (München). • Foto © Peter Haimerl. Architektur
Entwurf für einen Konzertsaal in einem stillgelegten Kraftwerk in Aubing (München). • Foto © Peter Haimerl. Architektur

Was hältst Du von dem sehr trockenen, ›perfekten‹-Tonstudio-Klang eines Yasuhisa Toyota?

Ich finde, dass jeder Raum seinen eigenen Charakter haben muss. Musiker müssen den Raum bespielen können, wie ein Instrument. Der Raum muss die Musiker unterstützen, es muss eine Interaktion geben. Ich favorisiere Schuhschachtellösungen wie den Wiener Musikverein, da wird der Ton sozusagen erst durch die Halle geformt und bekommt einen eigenen Sound. Nach den Regeln der Akustik ist der Saal zu lang und zu niedrig, funktioniert aber trotzdem.

Ich finde den Sound da sehr gut.

Das ist genau der Disput, es gibt hunderte Seiten zur Thematik. Mariss Jansons sagt zum Beispiel, der trockene Klang sei ihm lieber, weil man einen solchen Raum perfekt bespielen kann. Die anderen sagen, da kriegt man nie so einen richtigen Wohlklang her. Vor allem für die Musiker ist das wichtig. Das Entscheidende ist meiner Meinung nach, wie die Musiker den Saal empfinden – weil sie sich dort wohlfühlen müssen, sonst kommen sie nie in einen Flow. Für die Musiker ist der Musikverein der beste Saal, sagen viele, die dort selbst gespielt haben.

Geht es also eher um subjektive Einschätzung?

Es ist natürlich von großer Bedeutung, was gespielt wird. Es funktioniert nur mit der richtigen Power – nicht alle Kompositionen eignen sich für einen bestimmten Saal. Es kann ein Saal für manche Aufführungen fantastisch sein, für andere zum Vergessen.

Die Frage ist sowieso, ob die Säle in Zukunft mit mechanischer Akustik arbeiten. Ich habe gehört, dass es schon viele Säle gibt, deren Akustik nach Bedarf  modifiziert wird, die Leute wissen es bloß nicht. Der Saal in Luzern geht ja in diese Richtung, da kann man alles mögliche einstellen, Nachhallzeit verlängern. Oben sind drehbare Wände und Kammern, die man genau adaptieren kann. Der Saal selbst ist eigentlich ein Musikinstrument, gilt als der beste moderne Saal.

Warum das Konzerthaus die neue Kirche ist und wie es nach der Elphi noch weitergehen kann. Architekt Peter Haimerl im Interview in @vanmusik. 

Was ist eigentlich dein Bezug zu klassischer Musik und Klassikkultur?

Vor dem Konzertsaal in Blaibach hatte ich wenig Bezug dazu. Seither gehe ich oft in Konzerte. Komischerweise habe ich vor etwa 20 Jahren privat eine Konzerthaus-Tournee gemacht, war damals auf den Baustellen in Baden-Baden und Luzern. Das war lange vor Blaibach.

Was fasziniert dich an der Thematik?

Das Öffnen von Räumen und Vorstellungskraft. Wir haben ja vor dem Wettbewerb zum Gasteig-Umbau eine Interimslösung für das Ausweichquartier in einem ehemaligen Kraftwerk in Aubing durchexerziert und dort auch große Säle geplant. Das Projekt begann mit zwei Unternehmern, die in diesem ehemaligen Kraftwerk privat Ausstellungen veranstalten wollten.

Kraftwerk in Aubing • Foto © Peter Haimerl. Architektur
Kraftwerk in Aubing • Foto © Peter Haimerl. Architektur

Ich habe gemeint, man solle das Haus öffnen, das neue Konzerthaus von München könne da zum Beispiel rein. So wie das Konzerthaus in Paris, das in der Peripherie der Stadt liegt, einer Gegend, die total unterversorgt ist mit Kultur und urbaner Atmosphäre. Wir haben das Projekt Philharmonisches Kraftwerk genannt, für 2000 Leute. Der Raum ist fantastisch, hat genau die Dimensionen, die man braucht, 25 Meter hoch, 25 Meter breit und knapp 50 Meter lang. Warum bauen wir nicht mal an so einem Ort einen Saal für die besten Musiker und Dirigenten? Wir waren mit Gergiev draußen, der fand das auch toll.

Entwurf für einen Konzertsaal im Kraftwerk • Foto © Peter Haimerl. Architektur
Entwurf für einen Konzertsaal im Kraftwerk • Foto © Peter Haimerl. Architektur

Leider wurde daraus nichts, hauptsächlich wegen der Lage, die angeblich nicht zur Hochkultur passt. Aber so etwas Ähnliches haben wir auch für den Gasteig im Sinn. Darüber kann ich jetzt noch nicht so viel erzählen.

Im Zweifelsfall: Architektur oder Akustik first?

Gute Architektur hat gute Akustik. Die Akustik braucht räumliche Mittel, die man gut gestalten kann. ¶